Remarque, Im Westen nichts Neues (1929) – Erläuterung

Remarque: Im Westen nichts Neues (1929) - All Quiet on the Western FrontDie Geschichte von Im Westen nichts Neues ist die Geschichte des größten Bucherfolges, den die Welt je gesehen hat. Ob mittlerweile Harry Potter-Romane die Rekorde von Remarques Roman gebrochen haben, ist schwierig zu sagen, eins steht auf jeden Fall fest: auf Neuhochdeutsch müsste man Remarques Roman „Im Westen nichts Neues“ wohl einen Smash-Hit nennen. Remarque selbst war bei der Niederschrift des Romans gerade 30 Jahre jung. Der Roman Im Westen nichts Neues gehört bis heute in den festen Lektürekanon der Schul-Oberstufe. Eine kurze Interpretation von Im Westen nichts Neues kann also für die kommende Klausur, die Abiturprüfung oder das Schulreferat nicht verkehrt sein…


Erich Maria Remarque und Paul Bäumer

Die französische Schreibweise von Remarques Namen (und zusätzlich die Tatsache, dass der Roman fast ausschließlich in Frankreich spielt) ist verwirrend: der Autor kam aus Osnabrück. Erich Maria Remarque selbst hieß gebürtig Erich Paul Remark. Der fallen gelassene Mittelname Paul ging auf Remarques Hauptfigur des Romans über, den jungen Soldaten Paul Bäumer. Den Nachnamen erhält Paul von Remarques Großmutter mütterlicherseits, die ebenfalls Bäumer hieß = Paul Bäumer.

Die engen autobiographischen Bezüge der Figur Paul Bäumer zu Remarque selbst sind damit überdeutlich. Auch Remarque musste an die Westfront, wenngleich erst 1917. Dort blieb er allerdings nicht lange, da eine Verwundung durch einen Granatsplitter (ein wiederkehrendes Motiv im Roman Im Westen nichts Neues) in zu einem Sanitätsaufenthalt zwang, wo er auch das Ende des Kriegs im Frühherbst 1918 miterlebte.

Im Westen nichts Neues war nicht der erste Roman von Remarque. Bereits 1920 veröffentlichte er einen Roman mit dem Titel „Die Traumbude“ und drei Jahre später den Roman „Gam“. In Franz Baumers Remarque-Biografie wird der Autor sehr kritisch gegenüber seinen Erstlingen zitiert. Er soll gesagt haben: „Wenn ich nicht später etwas Besseres geschrieben hätte, wäre das Buch Anlass zum Selbstmord.“ (Baumer 33). Der große Durchbruch gelang Remarque allerdings erst mit Im Westen nichts Neues, der 1928 in der Vossischen Zeitungen veröffentlicht wurde (in Fortsetzungen) und dann 1929 in Buchform herauskam. Bereits ein Jahr später folgte die berühmte Hollywood-Verfilmung des Romans.

Der Roman Im Westen nichts Neues gilt allgemein hin als Antikriegsroman, auch wenn mittlerweile gut dokumentiert ist, dass Remarque selbst diese Bezeichnung eher ablehnte. In einem viel zitierten Interview von 1963 lehnte Remarque die Bezeichnung vehement ab. Er ließ durchscheinen, dass er die Bezeichnung insofern für überflüssig halte, als dass er immer dachte, „jeder Mensch sei gegen den Krieg, bis ich herausfand, dass es welche gibt, die dafür sind, besonders die, die nicht hingehen müssen.“

Jedoch trug der Roman, ob Antikriegsroman, pazifistischer Roman oder was auch sonst, Remarque den Hass der erstarkenden Nationalsozialisten ein. Die erste Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 verbrannte Remarques Roman Im Westen nichts Neues zusammen mit den Werken von Marx, Freud, Kästner, Tucholsky und Heinrich Mann. Remarques Werk wurde dabei mit der Parole „Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkriegs, für Erziehung des Volkes im Geist der Wehrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque“ verbrannt. Goebbels hatte die Verfilmung von Im Westen nichts Neues bereits im Erscheinungsjahr 1930 verboten. 1933 floh Remarque in die Schweiz. Die Nazis erkannten ihm 1938 die deutsche Staatsbürgerschaft ab, die Remarque später nie wieder angenommen hat, denn 1947 wurde Remarque offiziell US-amerikanischer Staatsbürger.

Im Westen nichts Neues – Kurze Eckdaten zum Roman

Remarque, All Quiet on the Western Front (1930)

Erich Maria Remarque, 1929 (Quelle: Bundesarchiv Bild 102-10867)

Der Roman besteht aus 12 Kapiteln. Der Zeitraum der Handlung ist nicht eindeutig festzumachen, erstreckt sich aber ungefähr über gut zwei Jahre – vom Sommer 1916 bis kurz vor Kriegsende 1918. Ort des Geschehens ist die Westfront in Frankreich. Die Hauptfiguren sind die Mitglieder der zweiten Kompanie unter der Leitung von Katczinsky, genannt Kat. Hauptfigur des Romans ist der 18-jährige Paul Bäumer, der gleichzeitig auch der Ich-Erzähler ist. Der Roman beschreibt die Erlebnisse von Paul – sowohl an der Westfront als auch im Fronturlaub und im Kriegslazarett. Nach und nach sterben alle Freunde von Paul, er überlebt am längsten, bevor er am Ende des Romans, im Oktober 1918, selber fällt.

Obwohl Paul am Ende den Tod findet, stellt Remarque seinem Roman folgende, fast schon apologetischen Worte voran:

Dieses Buch soll weder eine Anklage
noch ein Bekenntnis sein.
Es soll nur den Versuch machen,
über eine Generation zu berichten,
die vom Kriege zerstört wurde –
auch wenn sie seinen Granaten entkam.

Die Figur Paul Bäumer entkommt selber den Granaten nicht, denen die entkamen, denen der Roman gewidmet ist. Doch die Diskrepanz aus Tod und Überleben ist nur oberflächlich. Denn Pauls Schwierigkeiten in die wirkliche Welt des Friedens zurückzukehren lernen wir schon in seinem Fronturlaub kennen. Und nachdem seine gesamte Kompanie gefallen ist und nur noch er übrig geblieben ist, scheint er unnatürlich gealtert. Im letzten Absatz vor seinem Tod resümiert er sein Leben mit folgendem, vernichtenden Urteil:

Mögen die Monate und Jahre kommen […] Ich bin so allein und so ohne Erwartung, dass ich ihnen entgegensehen kann ohne Furcht. (213)

Die Furcht, ein stets intentional auf ein Objekt bezogener Zustand, ist Paul, da er nichts mehr zu erwarten hat, fremd geworden. Die Angst, die er noch kurz vor Kats Tod empfunden hat („Die Angst vor dem Alleinsein steigt in mir auf.“, 210) ist nun, nachdem Paul ganz alleine ist, auch verschwunden. Sein Zustand ist vegetativ und scheint auf nichts gerichtet zu sein, nicht einmal mehr auf den eigenen Tod. Der Titel Im Westen nichts Neues bezieht sich jedoch auf Pauls Tod. Der Tod der Hauptfigur – oder in einer älteren Terminologie: der Tod des Helden – wird zur Lappalie, es ist: nichts Neues. Der Titel der englischen Übersetzung stützt sich auf den gleichen Absatz, auf das „ruhig und still“ – der englische Titel lautet „All Quiet on the Western Front“. Die Schlussworte des Romans lauten:

Er fiel im Oktober 1918, an einem Tage, der so ruhig und still war an der ganzen Front, dass der Heeresbericht sich nur auf den Satz beschränkte, im Westen sei nichts Neues zu melden. (214)

Physiognomie des Krieges

Faces of War

Faces of War (Quelle: louisa_catlover, flickr.com, 2009)

Essen, Frauen, Ausscheidung und Verdauung bilden im Roman die Pole der Natürlichkeit. Während Granatsplitter, Fliegerangriffe, Schützengraben und Lazarett für die Unnatürlichkeiten des Krieges einstehen. Der Roman schildert beide Pole mit einer äußerst nüchternen Sprache und lässt die Szenen in hoher Geschwindigkeit sich abwechseln. Dieses Oszillieren zwischen dem Leben der Menschen und dem Leben der Soldaten, führt dazu, dass die wenigen Punkte an denen sich diese beiden Sphären berühren, zu großen Irritationen beim Leser führen. Menschliche Soldaten und soldateske Menschen – die Koinzidenz des Militärischen und des Privaten verstört zunächst.

Und das bezieht sich noch nicht einmal so sehr auf die existenzielle Angst der Truppe rund um Paul Bäumer. Denn Angst taucht in Im Westen nichts Neues nur anfallartig auf, wie ein kurzer Schwindel, der ebenso schnell geht, wie er kommt. Die Koinzidenz von Privatem und Militärischem verstört eher durch die physische Intimität, die sich in den gemeinschaftlichen Aktionen des Stuhlgangs und des Beischlafs äußern. Remarque zeigt die verlernte Scham der Soldaten. Nur wo die Scham als ordnende Instanz des sozialen Miteinanders verloren geht, kann gemeinsamem Stuhlgang gefrönt werden.

Doch während die Körperlichkeit das Leben der Soldaten bestimmt, ist es die Fazialität, d.h. die „Gesichtlichkeit“, die ihr Sterben zum Ausdruck bringt. Die existenziellen Momente des Romans, die Furcht vor dem Tod und letztlich die Angst um sich selbst, spiegeln sich buchstäblich in den Gesichtern der Figuren wieder, wie z.B. im Gesicht von Kemmerich, dem ersten der Jungs, die im Krieg ums Leben kommen werden:

Er sieht schrecklich aus, gelb und fahl, im Gesicht sind schon die fremden Linien, die wir so genau kennen, weil wir sie schon hundertmal gesehen haben. Es sind eigentlich keine Linien, es sind mehr Zeichen. Unter der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedrängt bis an den Rand des Körpers, von innen arbeitet sich der Tod durch, die Augen beherrscht er schon. Dort liegt unser Kamerad Kemmerich, der mit uns vor kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter gehockt hat; – er ist es noch, und er ist es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein Bild geworden, wie eine fotografische Platte, auf der zwei Aufnahmen gemacht worden sind. (19-20)

Auch die qualvoll-erstarrten Gesichter der Gastoten zeugen von der Beziehung, die aus dem An-Gesicht ein Angst-Gesicht macht.

Auf den Brustwehren, in den Unterständen, wo sie gerade waren, standen und lagen die Leute mit blauen Gesichtern, tot. (114)

[W]ir sehen Leute ohne Mund, ohne Unterkiefer, ohne Gesicht; wir finden jemand, der mit den Zähnen zwei Stunden die Schlagader seines Armes klemmt, um nicht zu verbluten, die Sonne geht auf, die Nacht kommt, die Granaten pfeifen, das Leben ist zu Ende. (97)

Der Tod zerstört in diesem Falle Leben. Das äußere Merkmal dieser Zerstörung sind jedoch die Gesichter. Die Gesichter auf denen sich die Angst spiegelt, die zerfetzten und zerstörten Gesichter der Toten, die aufgequollenen Gesichter der Gastoten und die vor ihrer Zeit gealterten Gesichter der jungen Rekruten. Einzig Pauls Gesicht am Ende des Romans fällt aus diesem Muster heraus.

Dem Roman Im Westen nichts Neues, der die Erlebnisse des Krieges schilderte, der das Gesicht der Welt nachhaltig veränderte, diesem Roman liegt ein fazialer Subtext zu Grunde, der in allen Bereichen durchzusickern scheint. Was immer der Roman für Szenen schildert, grausame-brutale, fürsorglich-mitleidsvolle, menschliche, unmenschliche, natürliche, unnatürliche, angsterfüllte, hoffnungsvolle – alle Affekte der Szenen spiegeln sich auf den Gesichtern der Figuren wieder.

Im Westen nichts Neues kann als einer der letzten großen physgiognomischen Romane des 20. Jahrhunderts gelesen werden. Das birgt eine gewisse Ironie, da die Nazis, die Remarques Bücher öffentlich verbrannten, den physiognomischen Diskurs kurze Zeit später völlig in Beschlag nahmen, um ihn in ihre Rassenlehre zu überführen (Tendenzen, die schon im 19. Jahrhundert zu erkennen waren, etwa bei Cesare Lombroso, der eine Typologie des Verbrecher-Gesichtes erstellte (L’Uomo delinquente)).


Typische Klausurfragen zu Im Westen nichts Neues

Hier eine kleine Auswahl von fünf typischen Klausurfragen zu Im Westen nichts Neues, wie man sie wohl in einer klassischen Deutsch-Klausur im Grund- oder Leistungskurs erwarten kann (natürlich auch bei Abiturfragen zu Remarque). Die Antwort erfolgt dabei aus Platzgründen nur stichpunktartig. Weitere Fragen außer diesen haben meistens die gewohnten Deutschunterrichtsform im Sinne von „Charakterisieren Sie…!“ oder „In welcher Beziehung stehen die Figuren A und B zueinander?“ oder „Welche Funktion hat im Roman die Szene …?“.

  • Warum wird für Paul Bäumer der Fronturlaub zu einer Enttäuschung? >> Die Front nimmt sukzessive das gesamte geistige Leben der Soldaten ein. Rückkehr in ein normales Leben muss nach den Erlebnissen des Krieges scheitern. Konfrontation mit Kriegsverweigerern und Sofa-Generälen. Das Elend der Kriegsgefangenen spiegelt das eigene Elend. Schwierigkeit, den Menschen aus dem wirklichen Leben die Erlebnisse an der Front nahezubringen. Fronturlaub in der Schwebe zwischen Normal- und Ausnahmezustand.
  • Der Roman schildert die Sichtweise einfacher Soldaten. Wie wird hohe (Kriegs-)Politik im Roman dargestellt? >> Diskussion der Soldaten über die, angesichts der Ereignisse, abstrakten Begriffe wie Ehre, Vaterland und Feind. Das soldatische Leben hängt von Entscheidungen von Politikern ab, die niemand auch nur gesehen hat. Frontbesuch des Kaisers wird in drei kurzen Sätzen abgehandelt. Die Soldaten sind von der Erscheinung Kaiser Wilhelm II. enttäuscht.
  • Wie wird Angst im Roman dargestellt? >> Angst wird vom Zustand zum Affekt. Angst kommt nur anfallartig im Roman vor. Mit zunehmendem Sterben innerhalb der Kompanie wird die eigene Existenz durch die Soldaten weniger wichtig genommen: Angst um das eigene Leben verringert sich. Paul Bäumer verspürt am Ende des Romans keinerlei Angst mehr, weil er keine Zukunft mehr sieht, um die man sich ängstigen könnte. Er stirbt in scheinbarem Frieden.
  • Erläutern Sie den Titel des Romans: Im Westen nichts Neues! >> Paul Bäumer stirbt am Ende. Sein Leben und sein Tod werden angesichts des großen Kriegs zur Bedeutungslosigkeit degradiert. Sein Tod ist keine eigene Meldung wert. Daher die kurze und sachliche Meldung: „Im Westen nichts Neues.“ Wörtlich genommen ist der Tod eines Soldaten eben: nichts Neues.
  • Der literarische Stil des Romans wird häufig als „Neue Sachlichkeit“ bezeichnet. Erläutern Sie warum!“ >> Abhebung vom expressionistischen Pathos. Dokumentarischer Stil. Bloße Beobachtung geht über teilnehmende Bewertung des Geschehens. Folge der Desillusionierung nach dem Ersten Weltkrieg. Realistisches Sujet. Leichte Verständlichkeit.

Literatur

Quellennachweise

Dieser Beitrag wurde unter Deutsche Literatur abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

13 Responses to Remarque, Im Westen nichts Neues (1929) – Erläuterung

  1. Pingback: Remarque: Im Westen nichts Neues – Inhalt, Interpretation, Hilfen: Links | norberto42

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.