Iphigenie auf Tauris: Zusammenfassung (Euripides)

Schullektüre ist oft dornig. Was soll die euripideische Iphigenie, geschrieben ca. 412 v. Chr., Schülerinnen und Schülern aus dem 21. Jahrhundert sagen? Kann uns Literatur, die fast zweieinhalbtausend Jahre alt ist überhaupt noch etwas sagen? Fragen wie diese zu beantworten ist nicht leicht. Um aber Schülerinnen und Schülern den Zugang zur Lektüre von Euripides Iphigenie auf Tauris (bzw. Iphigenie bei den Taurern oder Iphigenie im Taurerlande, wie andere Übersetzungen des griechischen Originals lauten) zu erleichtern, geben wir an dieser Stelle eine kurze Zusammenfassung von Euripides Tragödie. Die Kenntnis dieser griechischen Tragödie ist auch für die Goethe-Lektüre im Deutschunterricht nicht unerheblich, denn Goethe schrieb zwischen 1779-1786 ein eigenes Iphigenie-Schauspiel nach der euripideischen Vorlage. Wer also Euripides kennt, wird mit Goethes Iphigenie auf Tauris nur wenig Probleme haben. Nun also zur Zusammenfassung der Iphigenie auf Tauris von Euripides.

Die Vorgeschichte zu Iphigenie auf Tauris


Die Titelheldin Iphigenie ist die Tochter von König Agamemnon, dem Heerführer der griechischen Truppen im Trojanischen Krieg. Vom Trojanischen Krieg berichtet vor allem Homers Epos Ilias, aber auch zahlreiche andere Schriften aus der griechischen Antike. Nun versammelt sich also die gesamte griechische Flotte bei Aulis, um gemeinsam nach Troja in den Krieg zu segeln, da setzt auf einmal eine Windstille ein. Ohne Wind können die Segelschiffe der Griechen nicht auslaufen. Man befragt einen Seher, was zu tun sei. Dieser antwortet, dass die Windstille eine Strafe der Göttin Artemis sei, da sich Agamemnon einst über sie lustig gemacht habe. Er erzählt ferner, dass nur dann wieder Wind wehe, wenn Agamemnon seine Tochter Iphigenie der Göttin opfere (es gibt durchaus Parallelen zur biblischen Geschichte von Abraham, der Isaak opfern soll, vgl. Gen 22, 1-19). Agamemnon denkt sich, dass er keine andere Wahl hat und beschließt, seine Tochter zu opfern. Mit einer List lockt er Iphigenie, die noch im heimatlichen Mykene ist, nach Aulis: Er erzählt ihr, dass niemand Geringeres als der größte Held der Griechen, Achilleus, sie zur Frau nehmen wolle. Iphigenie reist in freudiger Erwartung von Mykene nach Aulis und findet dort statt einer Hochzeitszeremonie eine Opferzeremonie vor – mit ihr selbst als dem Opfer! Gerade als Agamemnon nun den Dolch in die Brust seiner Tochter stoßen will, da schreitet die Göttin Artemis rettend ein. Ohne, dass die Griechen es merken, ‚entrückt‘ sie Iphigenie nach Tauris (heute würde man etwas salopp wohl von ‚teleportieren‘ sprechen). Agamemnon wähnt seine Tochter geopfert, der Wind beginnt wieder zu wehen und die griechische Flotte kann in See stechen, in den Trojanischen Krieg, der 10 Jahre dauern wird und schließlich, durch die List des Odysseus mit dem Trojanischen Pferd, mit einem Sieg für die Griechen enden wird.

Iphigenie ist also im Taurerlande (vermutlich die heutige Halbinssel Krim im Schwarzen Meer), wo sie als Priesterin der Artemis dient. Ein Brauch der Taurer besagt, dass jeder Fremde, der am Ufer der Taurer anlegt, der Göttin Artemis geopfert werden solle. So vollführt Iphigenie beinahe 20 Jahre lang dieses grausame Ritual. Sie denkt oft an ihre Heimat und ihre Familie, die sie vermisst (nicht gerade ihren Vater, für den sie aus nachvollziehbaren Gründen, keine allzu zärtlichen Gedanken hegt…).

Orest wird von den Erinyen verfolgt

Parallel dazu geschehen einige Ereignisse, die unmittelbar zum Beginn der Tragödie des Euripides führen. Der Trojanische Krieg ist gewonnen. Agamemnon kehrt heim nach Mykene. Dort hat seine Frau Klytämnestra, erbost über die Opferung ihrer gemeinsamen Tochter Iphigenie, eine Affäre mit einem gewissen Ägisth begonnen. Gemeinsam tötet das Liebespaar den heimkehrenden Agamemnon. Orest, der Sohn von Agamemnon und Klytämnestra (also der Bruder von Iphigenie), ist über diesen Mord an seinem Vater so erbost, dass er (einige Jahre später) seinen Vater rächt: er erschlägt die Mutter und ihren Liebhaber. Der Muttermord kann nicht ungestraft bleiben, und so verfolgen nun die Rachegeister (Erinyen, siehe Bild) Orest (ein moderner, psychoanalytischer Befund würde sicherlich mühelos ohne Rachegöttinnen den Wahnsinn des Orest erklären können…). Der Gott Apollon verkündet Orest, dass er seinen Wahnsinn nur verliere, wenn er nach Tauris reist und dort eine Statue der Artemis aus dem Tempel raube und nach Athen bringe. Orest macht sich also mit seinem Freund Pylades zusammen auf den weiten Weg nach Tauris, wo (was er natürlich nicht weiß) seine Schwester Iphigenie lebt und alle Fremden (also auch: alle Griechen) opfern muss…

Handlungszusammenfassung von Iphigenie auf Tauris

Nach dieser Vorgeschichte ist sicherlich schnell klar, was passieren wird. Orest kommt in Tauris an (67ff.) und wird gefangengenommen (235ff.). Er soll nun von seiner eigenen Schwester der Göttin Artemis geopfert werden. Die Geschwister erkennen sich natürlich nicht, da Orest vor 20 Jahren, als Iphigenie ihn zuletzt sah, noch ein Säugling war und zudem beide Geschwister glauben, der/die jeweils andere sei tot (467ff.).

Iphigenie bereitet also die Opferung vor (341 ff.); dem Zuschauer bzw. Leser pocht das Herz… wird Iphigenie unwissend ihren eigenen Bruder töten? Wird die Tragödie wirklich so schrecklich tragisch enden, mit einem Geschwistermord?

Iphigenie, die lange nichts mehr von ihrer Heimat Griechenland gehört hat, befragt den griechischen Fremden (d.h. ihren Bruder Orest) nach der Heimat (481ff.), nach Helena, die der Grund für den Trojanischen Krieg war (521ff.); nach den Irrfahrten des (noch immer nicht heimgekehrten) Odysseus (533-534); nach dem Tod des Achilleus (535ff.); nach Agamemnon, ihrem (und Orests) Vater (448ff.); nach ihrer Mutter Klytämnestra (552ff.); danach, wie die Mutter zu Tode kam (556ff.); und schließlich nach ihr selbst, Iphigenie, und was man in Griechenland von ihr denke (563ff.). Sie erfährt zudem, dass ihr totgeglaubter Bruder Orest noch am Leben sei (567ff.) In diesem gedrängten Dialog der beiden kippt die Handlung langsam. Iphigenie packt ein Heimweh, sie will einen Brief in die Heimat schicken lassen, den Pylades überbringen soll. Sie gibt ihm den Brief, er liest ihn und erkennt, dass Orest und Iphigenie Geschwister sind (769-771) – die sogenannte Anagnorisis der griechischen Tragödie. Die Geschwister haben sich wieder und liegen sich mit Freudentränen in den Armen.


Doch wie sollen die beiden (mitsamt der Statue der Artemis) aus Tauris fliehen? Iphigenie ersinnt eine List (1031ff.). Sie sagt dem taurischen König Thoas, die beiden Opfer seien mit Blutschuld besudelt und müssten erst im Meer davon reingewaschen werden, bevor sie geopfert werden können. Und da die beiden die Statue der Artemis angefasst und damit entweiht hätten, müsste auch die Artemis-Statue im Meer gewaschen werden. Der Plan geht auf, der König lässt Iphigenie mitsamt der Statue und den beiden ‚Opfern‘ allein ans Meer gehen. Wenig später erfährt der König von einem Boten, dass alles nur eine List war und die drei an Bord eines Schiffes seien und fliehen würden (1284 ff.).

Pallas Athene (*)

Gerade will der König Thoas seine Armee hinterherschicken, um die drei fliehenden Griechen einzufangen und zu bestrafen, da erscheint die Göttin Athene (1435-1489), der berühmte Deus-Ex-Machina (bzw. die dea-ex-machina). Athene gebietet Thoas einzuhalten, da alles einem göttlichen Plan folge. Dieser gehorcht und lässt die drei Griechen zurück nach Griechenland segeln. Damit endet die Tragödie – ganz untragisch mit einem Happy End. Die Griechen erreichen Griechenland, Bruder und Schwester sind wieder vereint. Der taurische König lebt im Gewissen, göttlichen Willen erfüllt zu haben. Orest ist von seinem Wahnsinn befreit… kurz: Ende gut, alles gut.

(*) Quellennachweise:
1. Euripides, von tnarik (Eduardo), via flickr.com. Lizenz: CC BY-SA 2.0. Link.
2. Erinia (W.A.Bouguereau), von zambomba (Mario), via flickr.com. Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0. Link.
3. Pallas-Athene-Brunnen – Parlament, von webertho (Thomas Weber), via flickr.com. Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0. Link.

Dieser Beitrag wurde unter Antike Literatur abgelegt und mit , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

6 Responses to Iphigenie auf Tauris: Zusammenfassung (Euripides)

  1. Pingback: Goethe: Iphigenie auf Tauris – Inhalt, Aufbau, Mythos: kommentierte Links zur Interpretation « norberto42

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.