Jane Austen: „Persuasion“ (1816)

Jane Austens Persuasion (in der dt. Übersetzung Überredung, oder auch Anne Elliot oder Verführung) ist ihr letzter vollendeter Roman. Unmittelbar nach seiner Fertigstellung 1816 begann Austen mit den Aufzeichnungen zu ihrem letzten Roman, Sanditon, den die 41-Jährige jedoch auf Grund ihres frühen Todes im Juli 1817 nicht vollenden konnte (das Fragment wurde erst im 20. Jahrhundert veröffentlicht). Auch die Veröffentlichung ihres letzten vollendeten Romans konnte Austen nicht mehr erleben: Persuasion erschien postum 1818.

In vielerlei Hinsicht kann man darüber streiten, ob der Roman stilistisch oder inhaltlich von seinen Vorgängern abweicht oder nicht. Tatsache bleibt, dass der Roman viele typische Austen-Elemente beinhaltet, auf die ich weiter unten eingehen werde.

1. Inhaltsangabe von Persuasion, Interpretation


Ähnlich wie schon bei den vorangegangenen Romanen Jane Austens lässt sich auch die Handlung von Persuasion in wenigen Sätzen zusammenfassen. Heldin des Romans ist Anne Elliot, die mittlere von drei Töchtern eines verarmten Adligen. Während die jüngste Tochter Mary jung geheiratet hat und die älteste Tochter Elizabeth bei der scheinbar übereifrigen Erfüllung ihrer gesellschaftlichen Pflichten (gepaart mit einer gehörigen, vom Vater geerbten Portion Eitelkeit, die schon der erste Satz des Romans ironisiert: „Sir Walter Elliot, of Kellynch-hall, in Somersetshire, was a man who, for his own amusement, never took up any book but the Baronetage.“) keinen passenden Mann zu finden scheint, hat Anne Elliot die Liebe ihres Lebens schon einmal gehabt, als sie 19 Jahre alt war. Doch wurde sie von ihrer Freundin und „Surrogat-Mutter“ (ihre leibliche Mutter ist früh gestorben) Lady Russell dazu überredet („persuaded“), diese romantische Beziehung zu lösen.

Nun, acht Jahre später, kreuzen sich die Wege Annes und ihres ehemaligen Geliebten Frederick Wentworth wieder, als dessen Familie in Kellynch Hall einzieht, dem Familienanwesen der Elliots, das diese auf Grund ihrer hohen Verschuldung aufgeben müssen.

Was folgt ist eine Geschichte der Irrungen und Wirrungen, wie wir sie aus früheren Austen-Romanen gewohnt sind: A liebt B und denkt, dass B C liebt, während B eigentlich auch A liebt, sich aber durch das seltsam reservierte Verhalten As abgeschreckt C zuwendet etc. Am Ende -ebenfalls ein echter Austen-Roman- kommt die Heldin natürlich (in diesem Fall: wieder) mit ihrem Geliebten zusammen und es wird geheiratet! Annes neuer/alter Verlobter Frederick findet nun, nicht zuletzt auf Grund seines während der napoleonischen Kriege erworbenen beträchtlichen Vermögens, Gefallen bei Sir Walter und auch Lady Russell muss ihr ehemals negatives Urteil über Frederick revidieren und stimmt der Hochzeit zu.

2. Themen von Jane Austens „Persuasion“
Der Roman bietet eine Vielzahl von Themen an, die sich untersuchen ließen; ich liste hier einige auf und werde anschließend eines näher untersuchen:

– Schmerz/Lust (pain/pleasure). Der Roman erzählt letztlich die Geschichte einer Liebe, die zu Ende geht (pain) und schließlich reanimiert wird (pleasure). Ein Großteil des emotionalen Dispositivs ist ähnlich ambivalent. Lust (Vergnügen/Freude) kommt selten ohne Schmerz (Enttäuschung) daher.

– Stummheit. Die beiden ehemaligen Liebhaber Anne und Frederick sprechen erst ab etwa dem letzten Drittel des Romans wirklich miteinander. Jegliche Interaktion zwischen ihnen läuft vorher non-verbal ab. Die seltenen Fälle, wo sie miteinander sprechen, werden häufig nur in indirekter Rede oder dem für Austens Romane kennzeichnenden Verfahren des style indirect libre (engl.: free indirect discourse; dt.: erlebte Rede) wiedergegeben, einem Verfahren, das mit der direkten Rede die Wortstellung gemeinsam und mit der indirekten Rede die Verschiebung des Aussagesubjekts in die dritte Person gemeinsam hat. Der Erzählforscher Stanzel spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Ansteckung der Erzählersprache durch die Figurensprache“, da sich in der erlebten Rede Erzähler- und Figurenrede vermischen. Ferner ist nicht immer klar, ob es sich um ausgesprochene oder stumme Gedanken handelt, die in der erlebten Rede wiedergegeben werden. Deswegen, und weil die Durchmischung der Diskursebenen (Erzählerdiskurs, Figurenrede) oft einen Grad der Ununterscheidbarkeit annehmen, ist die erlebte Rede in Austens Roman oft auch ein Mittel non-verbaler Kommunikation.

– Umzüge. Ortswechsel spielen eine große Rolle im Roman. Während beispielsweise Emma ausnahmslos in der Umgebung Highburys spielt, reist Anne Elliot viel umher. Kellynch Hall, Uppercross, Bath, Lyme sind einige ihrer Stationen (für genauere Analysen der Lokalitäten in Austens Romanen vergleiche den Atlas of the European Novel, 1800-1900 von Franco Moretti (1998)). Ferner sind fast sämtliche männlichen Charaktere Kapitäne in der Royal Navy, also ebenfalls mit dem romantischen Bild des ungebundenen Seemannes verknüpft. Trotz der äußeren (Orts-)Wechsel, ist das innere Gefühlsleben der Hauptfiguren jedoch überraschend konstant – eine Liebe, die letztlich acht Jahre der Trennung überdauert hat.



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– Gerede, Gerüchte. Interessanterweise hat das Gerede bei Austen meistens einen positiven Wert: es ist meistens wahr. In Persuasion verhält sich das nicht anders. Die umgehenden Gerüchte, dass sich zwischen Mr. William Elliot, einem Erben von Sir Walter, und Anne eine Liebesaffäre anbahnt bringen überhaupt erst das Verhältnis zwischen Anne und Frederick ins Rollen. Auch Mrs. Smith, eine alte Freundin von Anne, die ihre Informationen und Neuigkeiten übr die Gesellschaft in Bath über ihre Krankenschwester Nurse Rooke bezieht, bringt durch ihre entlarvenden Beweismittel das wahre Gesicht von Sir William ans Licht: dieser hatte sie einst, als sie verwitwete, im Stich gelassen und so bewirkt, dass Mrs. Smith verarmte. Diese Gerüchte und Informationen bringen in Austens Romanen oft die Handlung überhaupt erst in Gang. Selten sind sie bloßes Geschwätz, „gossip“, sondern immer Gerücht, „rumour“.

2.1 „Persuasion“ als Thema des Romans

Abschließend möchte ich aus der o.g. Liste der Themen eines herausgreifen und etwas eingehender untersuchen, das Thema der „persuasion“. Der Begriff lässt sich im Deutschen mit verschiedenen Ausdrücken übersetzen: Beeinflussung, Überredung, Überredungskunst; aber auch: Glaubensrichtung oder Überzeugung (wie ja auch das deutsche Wort Überzeugung sowohl die Bedeutung von „jemanden von etwas überzeugen“ hat, als auch die Bedeutung von „Glaube, Meinung“).

Die Frage, die sich beim Lesen stellt, muss also folgende sein: Spielt der Titel „Persuasion“ auf ein Set von Überzeugungen an oder auf die Handlung des Überzeugens. Wenn ersteres, dann: wessen Überzeugungen und wie werden diese im Roman dargestellt/problematisiert. Wenn letzteres, wer überzeugt wen warum?

Ebenso wie die Wortbedeutung von „persuasion“ eine doppelte ist, spielt auch der Roman mit beiden Ebenen: Menschen mit Überzeugungen versuchen andere Menschen mit anderen Überzeugungen von ihren vermeintlich besseren Überzeugungen zu überzeugen. Interessanterweise hat das Deutsche noch ein anderes Wort für diese Handlung: das Überreden. Beim Überreden schwingt noch mehr mit, dass man jemanden gegen seinen Willen zu etwas überredet, also eine negative Konnotation, während das Überzeugen eher die Bedeutung von „jemanden mit guten Argumenten vom Richtigen überzeugen“ hat, eine positive Konnotation.

Wenig überraschend lassen sich bei Austen beide Aspekte finden. „She had been forced into prudence in her youth“, heißt es an einer Stelle über Anne, „she learned romance as she grew older.“ Selbst wenn Anne mit 19 Jahren richtig gehandelt hat, als sie sich überzeugen ließ, hat Lady Russell vermutlich falsch gehandelt, als sie Anne überzeugte. Aus dieser paradoxen Situation, die in einem Grenzbereich von richtig und falsch, klug und naiv, erfahren und unerfahren anzusiedeln ist, lässt sich die doppelte Funktion der „persuasion“ – wie falsch es sein kann, jemanden zu überzeugen, wenngleich es richtig sein kann, dass dieser sich hat überzeugen lassen. Austen gibt an keiner Stelle des Romans zu erkennen, welcher der beiden Aspekte des Überzeugens ihre Sympathien besitzt. Tatsächlich befindet sich das Überzeugen immer in einem Status der Liminalität: das Klassifikationssystem der ethischen Struktur von richtig und falsch wird aufgehoben und die Passanten, die diese Sphäre durchschreiten stehen weder vor ihrem Ein- noch hinter ihrem Ausgang.

Bezogen auf die Problemstruktur der Austenschen Romane ließe sich die Zeit des Durchschreitens dieser Sphäre mit Robert Musil wie folgt charakterisieren:

„Es gibt im Leben eine Zeit, wo es sich auffallend verlangsamt, als zögerte es weiterzugehn oder wollte seine Richtung ändern. Es mag sein, dass einem in dieser Zeit leichter ein Unglück zustößt.“ Robert Musil, Drei Frauen

3. Literatur zu „Persuasion“:

  • Austen, Jane: Persuasion. Penguin 2003.
  • Musil, Robert: Drei Frauen. Hamburg: Rowohlt 2005.
  • Moretti, Franco: Atlas of the European Novel, 1800-1900. Verso 1998.
  • Stanzel, Franz K.: Theorie des Erzählens. Stuttgart: UTB 2002.
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