Thomas Hardy, Der Bürgermeister von Casterbridge

Der letzte Roman, den wir hier auf diesem Blog vorgestellt haben, war Balzacs Vater Goriot. Gleich nach einem derart deprimierenden Roman einen Roman von Thomas Hardy vorzustellen, ist vielleicht keine gute Idee: Denn Thomas Hardy steht in seinem Pessimismus und in der Grausamkeit seiner Schilderungen der Gesellschaft seiner Zeit dem französischen Romancier Balzac in nichts nach. Ebenso wie Balzacs Frankreich ist Hardys ‚Wessex‘ bestimmt von der Selbstverliebtheit und Ich-Zentriertheit der menschlichen Natur. Auch bei Hardy sind durch und durch gute Figuren eine Seltenheit und es überwiegen die rücksichtslosen Karrieristen, die skrupellosen Emporkömmlinge und die verschlagenen Verbrecher. Hardys Roman Der Bürgermeister von Casterbridge (engl.: The Mayor of Casterbride) von 1886 ist hier keine Ausnahme und steht seinen – vielleicht bekannteren Romanen Jude the Obscure und Tess of the D’Urbervilles in nichts nach. Der Untertitel des Romans, „The Life and Death of a Man of Character“ („Leben und Tod eines Mannes von Charakter“), zeigt schon an, dass Hardy einen vollständigen Lebenszyklus schildert, der bis zum Tod eines Mannes reicht, von dem gesagt ist, dass er Charakter hat. Das Wort „Charakter“ kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet dort soviel wie „Prägung“ und (in einem weiteren Sinne) „Eigenart“. Der Roman schildert also die Eigenarten im Leben eines Mannes – Michael Henchard mit Namen – und beginnt bei dieser Schilderung gleich mit einem gewaltigen Paukenschlag: Besagter Henchard verkauft auf einem Dorfjahrmarkt in schwer alkoholisiertem Zustand seine Ehefrau und seine Tochter an einen Fremden! Die Katastrophe folgt stehenden Fußes… Weiterlesen

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Balzac: Vater Goriot – Inhalt und Interpretation

Zweifellos gehört Balzacs Roman Vater Goriot (im Original: Le Père Goriot) (1835) zu den großen Meisterwerken der Literatur des Realismus. Die schonungslos in ihrer Gier und Verkommenheit gezeichnete Pariser Gesellschaft der Restaurationsjahre (1814-1830; unterbrochen durch die sog. Herrschaft der Hundert Tage, in denen Napoléon Bonaparte aus dem Exil in Elba zurückkehrte, die Macht an sich riss und erst in Waterloo endgültig geschlagen wurde). Die Restauration sollte erst mit der Julirevolution von 1830 ihr Ende finden; das bedeutet, dass Balzac in Vater Goriot eine Gesellschaft schildert, die zur Zeit der Niederschrift des Romans (1834/5, also unter dem „Bürgerkönig“ Louis-Philippe I.) bereits historisch zu nennen war. Der Roman spielt ausschließlich in Paris und wurde von Balzac in seiner Comédie humaine unter die „Scènes de la vie privée“ eingeordnet, also die „Szenen des privaten Lebens“.

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Booker Prize 2012: Longlist veröffentlicht

Sommerzeit = Urlaubszeit = Lesezeit. Gut, dass jeden Sommer eine lange Liste an englischsprachigen Büchern veröffentlicht wird, die allesamt lesenswert sind, die sog. Longlist des Man Booker Prize (kurz: Booker Prize). Die Longlist des Booker Prize 2012 wurde Ende Juli veröffentlicht und enthält zwölf Titel. Am 11. September 2012 wird in einer Pressekonferenz die sog. Shortlist des Booker Prize 2012 bekanntgegeben, die noch sechs Titel umfasst. Ein Buch von diesen sechs Titeln wird dann am Dienstag, den 16. Oktober 2012 in London’s Guildhall den Booker Prize 2012 sowie das Preisgeld i.H.v. £50,000 verliehen bekommen. Auch wenn das Preisgeld nicht besonders üppig erscheint hat der Booker Preis eine verkaufsfördernde Wirkung, so dass er neben dem Nobelpreis für Literatur zum begehrtesten Literaturpreis der Welt gerechnet werden muss. Wir werfen einen kurzen Blick auf die Longlist 2012: Weiterlesen

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Thackeray, Barry Lyndon

Der Roman The Luck of Barry Lyndon des Viktorianischen Autoren William Makepeace Thackeray (1811-1863) ist heutigen Lesern wohl in erster Linie durch die Verfilmung von Stanley Kubrick (1975) bekannt, die im Folgejahr vier Oscars gewann. Wer sich dem literarischen Œuvre von W.M.Thackeray zuwendet, wird wohl zuerst zu seinem bekanntesten Roman, Vanity Fair, greifen, zumal seine anderen Romane, wie Pendennis (1848-50), Henry Esmond, Esq. (1852), The Newcomes (1853-55) oder The Virginians (1857-8) heute fast nur noch Fachleuten bekannt sind und in Deutschland gar nicht mehr aufgelegt werden. Doch eine Lektüre von W.M.Thackerays Barry Lyndon lohnt sich: Der Roman ist unbeschwert, vergnüglich, zuweilen sogar etwas kurzweilig und zeigt den Autoren von seiner komischsten Seite. Die Gattung des Schelmenromans übernimmt Thackeray in Barry Lyndon gekonnt und vermengt es auf originelle Weise mit der Gattung des historischen Romans. Wir stellen den Roman Barry Lyndon von Thackeray kurz vor und bieten eine Zusammenfassung (Summary) der Handlung. Weiterlesen

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Charlotte Brontë, Villette (1853) – Inhaltsangabe und Erläuterung

Kaum eine literarische Familie war derart produktiv wie die Brontë-Schwestern Emily, Anne und Charlotte Brontë. Zusammen schrieben sie sieben Romane, die zu den berühmtesten und meistgelesenen Romanen des Viktorianischen Zeitalters gehören. Dabei waren ihre Leben sehr kurz; Anne wurde gerade einmal 29 Jahre alt, Emily 30 Jahre und Charlotte 38 Jahre. Doch ihre Romane bleiben unsterblich. Allen voran Emilys Wuthering Heights (1847; dt.: Sturmhöhe), Annes Agnes Grey (1847) und Charlottes Jane Eyre (1847). Diese Romane wurden unzählige Male verfilmt, für den Rundfunk bearbeitet oder auf die Theaterbühne gebracht. Charlottes letzter Roman war Villette. Sie veröffentlichte ihn 1853, zwei Jahre vor ihrem Tod. Dem breiten Lesepublikum ist er vielleicht weniger bekannt als Jane Eyre, jedoch erfreut er sich unter Anglisten oft größerer Beliebtheit, da er auf Grund der zahlreichen Kunstdiskurse als so etwas wie ein ästhetisches Manifest Charlottes gelesen werden kann. Wir werden im folgenden eine kurze Einführung in Charlotte Brontës Villette geben, die den Roman neuen Leserinnen und Lesern nahebringen soll und uns abschließend mit der Frage beschäftigen, wie Kunst in dem Roman verhandelt wird. Weiterlesen

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Theodor Storm: Immensee – Interpretation

Die Handlungsarmut von Theodor Storms 1849 verfasster Novelle Immensee ist derart stark, dass die Lektüre in der Schule häufig fragendes Schulterzucken auslöst: „Da passiert ja gar nichts!“ In der Tat passiert in der Novelle nicht viel, weshalb sich eine Inhaltsangabe von Theodor Storms Immensee in wenige Sätze zusammenfassen lässt. Doch geht es dann an die Interpretation des kurzen Textes, merkt man schnell, wie komplex die Novelle ist, mit welchen zahlreichen Stilmitteln sie komponiert ist und wie schwierig es ist, einen klaren Sinn herauszudestillieren. Da ferner der Text zu einer der klassischen Schullektüren zählt und Schülerinnen und Schüler bis heute mit Klausurfragen zu Immensee von Theodor Storm rechnen müssen, haben wir hier eine Interpretation vorgeschlagen, die, wenngleich nur eine von vielen möglichen Interpretationen, den Einstieg in die Novelle erleichtern sollte. Sie orientiert sich sehr stark an einem zentralen Merkmal des Textes: Seiner Rahmung und Symmetrik. Weiterlesen

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Ablenkung durch das Internet vermeiden: Produktivität steigern

Wer kennt das nicht? Kaum muss man sich konzentrieren und eine Seminararbeit für die Uni fertig stellen oder einen Konferenzbeitrag schreiben oder eine Bewerbung für ein Stipendium zusammenstellen… schon steigt die Neugier, was gerade auf Facebook passiert oder was das für süße Katzenvideos auf YouTube sind, die der Kollege gestern gemailt hat oder ob sich auf dem Bundesliga-Transfermarkt etwas neues getan hat… kurz, wann immer wir arbeiten müssen, lassen wir uns schrecklich gerne von der Arbeit ablenken. Das Problem dabei: Arbeitsgerät und Ablenkungsmaschine sind identisch: Computer und Internet. Es ist schwer, am Rechner zu arbeiten, ohne sich am Rechner abzulenken. Die Produktivität leidet darunter und oft wird das Paper nur in allerletzter Sekunde nach einer durchwachten Nacht fertig (oder eben auch gar nicht). Dieser Trend hat sich über die vergangenen Jahre stark verschärft; das Wort „Prokrastination“, vor einigen Jahren noch rein bildungssprachlich genutzt, ist inzwischen in aller Munde und jeder weiß, dass damit ein Aufschiebeverhalten gemeint ist, dass produktives Arbeiten zunehmend schwieriger macht. Abhilfe schaffen hier eine Reihe von Programmen, die den Computer in den Status einer besseren Schreibmaschine zurückversetzen und konsequent Webseiten wie Facebook, Twitter, YouTube und Co. blockieren. Somit lässt sich der Computer weiterhin als Arbeitsgerät nutzen, ohne dass man der Versuchung nachgeben kann, ihn für Ablenkung zu missbrauchen. Weiterlesen

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Charles Dickens: Dombey und Sohn

Wir setzen unsere kleine Artikel-Reihe zum diesjährigen Dickens-Jubiläum fort mit einem Roman, den Dickens als 34-jähriger Mann zu schreiben begann, zu einer Zeit also, als er bereits ein gefeierter und erfolgreicher Schriftsteller war, mit den Veröffentlichungen von Oliver Twist, den Pickwick Papers und A Christmas Carol bereits hinter sich. Der Roman – Dickens siebter Roman – erschien ab Oktober 1846 in monatlichen Fortsetzungen bis zum April 1848 und fällt damit in die Zeit der Novels of the Eighteen-Forties, wie Kathleen Tillotson diese Hochphase der Englischen Literatur in ihrem gleichnamigen Buch betitelte (darin enthalten natürlich auch ein eigenes Kapitel über Dombey and Son). Es enthält einige von Dickens berühmtesten Figuren, wie beispielsweise den gutherzigen Captain Cuttle, den hummeräugigen Major Joseph B. Bagstock oder den ewig grinsenden James Carker. Darüberhinaus haben einige der Sätze des Romans im Englischen den Status von Redewendungen gewonnen, wie etwa Captain Cuttles „When found, make a note of“ oder Mrs Skewtons „Cows are my passion“. Der Roman wird oft als der erste Roman der mittleren Schaffensphase von Dickens angesehen, welche auch Romane wie David Copperfield, Bleak House und Hard Times umfasst. Weiterlesen

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„Dickens and London“ at The Museum of London (Ausstellung)

Ein kleiner Bericht von jenseits des Ärmelkanals. Der Schreiber dieser Zeilen ist momentan in England unterwegs und hat sich dort in Sachen Literatur umgeschaut. Im Jubiläumsjahr des großen viktorianischen Schriftstellers Charles Dickens (200. Geburtstag) gibt es natürlich eine Vielzahl von Veranstaltungen in England, die sich mit Dickens auseinandersetzen; auch hier auf literaturen.net hatten wir in den letzten Wochen immer wieder einige Artikel dem „Unnachahmlichen“ gewidmet (etwa seinen Romanen Hard Times und Our Mutual Friend, sowie seinen Weihnachtserzählungen). In London, genauer: im Museum of London gibt es zu diesem Anlass eine Ausstellung, die sich vollständig dem großen Romanschriftsteller widmet. Wir haben diese Ausstellung besucht und wollen kurz davon berichten. Da die Ausstellung noch bis zum 10. Juni 2012 zu sehen ist, lohnt es sich vielleicht auch für London-Sommertouristen, dort einmal vorbeizuschauen. Weiterlesen

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Günter Grass, „Was gesagt werden muss“ – Gedicht oder Prosa?

Ein Freund der Redaktion fragte gestern, nach Erscheinen des Gedichtes „Was gesagt werden muss“ von Günter Grass, ob und warum das überhaupt noch ein Gedicht sei, da man den Text doch auch mühelos ohne Verse hätte abdrucken können, ohne dass dabei der Sinn verloren geht. Wir wollen in diesem kurzen Artikel aus gegebenem Anlass also weniger auf den Inhalt des Gedichtes eingehen (das wird aktuell in vielen anderen Foren und Blogs gemacht), sondern kurz ein paar Worte zu seiner Form verlieren. Warum ist ohne Günter Grass Gedicht ein Gedicht und kein Prosatext? Für den vollen Text von „Was gesagt werden muss“ verweisen wir hier auf den Erstabdruck in der Süddeutschen Zeitung. Weiterlesen

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