Dobrica Ćosić und der Nobelpreis-Scherz

15 Minuten. So lange dauerte die Verwirrung in Serbien (und Teilen der restlichen Welt) bezüglich der Vergabe des Literaturnobelpreises am 06. Oktober 2011. Denn die Webseite www.nobelprizeliterature.org hatte kurz vor der offiziellen Bekanntgabe des Gewinners Tomas Tranströmer den serbischen Autoren Dobrica Ćosić als Gewinner des Nobelpreises bekannt gegeben. Internationalen Pressemeldungen zufolge habe daraufhin sogar das serbische Fernsehen unwissentlich die Falschmeldung verbreitet. Inzwischen ist die Falschmeldung nicht mehr online (ein Screenshot findet sich am Ende dieses Artikels). Stattdessen erscheint derzeit eine Seite mit dem Titel „Not Nobelized“, die in englischer und serbischer Sprache die Aktion erklärt.


Zweck dieser Aktion sei es gewesen, die „Aufmerksamkeit der serbischen Öffentlichkeit auf den gefährlichen Einfluss des Schriftstellers Dobrica Ćosić zu lenken,“ dessen politisch-schriftstellerische Aktivitäten, so heißt es weiter, „mit diesem gefährlichen Wertesystem“ verflochten sei, „das nicht aufhört, uns alle zu bedrohen.“ (Quelle: www.nobelprizeliterature.org, Stand: 06.10.2011, 16:30 Uhr; Deutsche Übersetzung: literaturen.net) Die Urheber des Scherzes bezeichnen sich auf der selben Webseite als eine „gemeinnützige, selbst-organisierte Gruppe von Webaktivisten“ (Ibid.).

Dobrica Ćosić war neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit immer auch politisch aktiv gewesen. 1992/1993 war er sogar Staatsoberhaupt der damaligen Bundesrepublik Jugoslawien, aus der 2003 der Staat Serbien und Montenegro hervorging, der bis zur Unabhängigkeitserklärung Montenegros im Jahr 2006 bestand.

Die englische Wikipedia-Seite zu Dobrica Ćosić zitiert zwei serbischsprachige Quellen (hier und hier), denen zufolge Ćosić von seinen Bewunderern als „Vater der Nation“ bezeichnet würde, wobei seine Gegner diese Bezeichnung nur spöttisch verwenden würden. Als Milošević-Gegner und durch prominente Unterstützung von westlichen Intellektuellen wie Noam Chomsky, machte Ćosić in den vergangenen Jahren Schlagzeilen. Zuletzt wurde er von der internationalen Presse auf Grund seiner Aussagen zum Kosovo zitiert. Die Anerkennung des Kosovo durch 81 UN-Mitgliedstaaten (darunter auch Deutschland) im Jahr 2008 (siehe hier) bezeichnete Ćosić als den „Verrat Europas“, der Serbien „um seine Rechte betrüge“ (Quelle: Spiegel Online, 27.04.2008).

Zumindest die deutschen Verleger dürfte es freuen, dass sich die Meldung um Dobrica Ćosić und den Literaturnobelpreis als Falschmeldung herausstellte. Denn derzeit gibt es nur eine knappe Handvoll der rund 30 Romane des Autors in deutscher Sprache – und auch diese Übersetzungen sind weitestgehend vergriffen und nur noch antiquarisch zu beziehen, wie etwa die Romane Der Herd wird verlöschen oder Die Sonne ist fern.

Screenshot der Falschmeldung (klicken zum Vergrößern)

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