W. Somerset Maugham: Ashenden oder Der britische Geheimagent (1928)

w-somerset-maugham-ashenden-britische-geheimagent-1928-coverHier erzählt jemand, der weiß wie es wirklich war, jetzt erfahren wir, wie das Leben eines Geheimagenten zur Zeit des Ersten Weltkriegs aussah. Die ungeschönten Tatsachen berichtet von einem, der zugleich Schriftsteller und Geheimdienstagent für den Military Intelligence, Section 6 (MI6) war. William Somerset Maugham, von dem hier die Rede ist, hatte im September 1915 seine Geheimdiensttätigkeit aufgenommen und – ganz wie die Hauptfigur der Ashenden-Erzählungen – zunächst in der Schweiz, später in Russland gedient. Sein weltweiter Ruhm als Schriftsteller half ihm dabei, keinen Verdacht zu erregen – er konnte vorgeben, für einen neuen Roman oder ein neues Theaterstück in der Schweiz und in Russland zu recherchieren. Also: Die ungeschönten Fakten. Doch, so der Autor im Vorwort zu seiner Erzählungssammlung Ashenden oder Der britische Geheimagent aus dem Jahre 1928: Fakten sind schlechte Geschichtenerzähler. Ist Ashenden also eine wahre Schilderung des Agentenlebens (und damit möglicherweise eine schlechte Geschichte)? Oder ist Ashenden vielmehr eine gute Geschichtensammlung, die in Kauf nimmt, dass sie mit dem wahren Leben eines Geheimagenten im Ersten Weltkrieg nicht mehr viel gemeinsam hat? W. Somerset Maughams Aufgabe ist fraglos keine leichte gewesen und so verwundert es nicht, dass er den Band erst zehn Jahre nach Ende des Krieges veröffentlichte.

Schluss mit den Übertreibungen geheimdienstlicher Aktivitäten

Wer bei Geheimagenten an James Bond oder Ethan Hunt aus der Mission Impossible-Reihe denkt, der wird von Ashenden, der häufig als Vorläufer dieser Geheimagenten betrachtet wird, enttäuscht sein. Ashenden zeichnet kaum durch Kaltblütigkeit, Entschlossenheit oder körperliche Fähigkeiten aus und macht auch als Verführer der Frauenwelt, der seinen Martini lieber gerührt als geschüttelt trinkt, keine gute Figur. Seine Tätigkeit als Agent ist vor allem eins: Langweilig. Das bringt er wiederholt selbst zur Sprache, etwa zu Beginn der sechsten Erzählung, „The Greek“:

Ashenden was bored with Naples. The glare in the streets tired his eyes, the dust was intolerable, the noise was deafening. He went to the Galleria and had a drink. In the afternoon he went to a cinema. (p. 93)

Und so verwundert es nicht, dass wir den gelangweilten Geheimagenten viel öfter beim Zeit totschlagen beobachten, als bei wirklich aufregenden Missionen. Wir sehen ihn ein Entspannungsbad nehmen (p. 8), ein gemütliches Mahl in Pantoffeln zu sich nehmen (p. 26), in aller Ruhe einen Roman lesen (p. 66), noch mehr lesen (p. 93), noch mehr lesen – dieses Mal Rousseaus Bekenntnisse und La Nouvelle Héloïse (p. 108) -, und, genau: noch mehr lesen (p. 138). Schnell wird klar, dass der vom Geheimdienst angeheuerte Schriftsteller Ashenden seiner ursprünglichen Profession des Schriftstellers mehr Zeit widmet, als der des Agenten.

Von Carl van Vechten - Van Vechten Collection at Library of Congress

W. Somerset Maugham im Jahr 1934 (Quelle: Von Carl van Vechten – Van Vechten Collection at Library of Congress – Link)

Die wenigen konkreten Missionen, auf die „R.“, der Geheimdienstchef (ein Vorläufer von James Bonds „M.“), den Schriftstelleragenten gelegentlich schickt, sind häufig alles andere als glamourös. Nicht nur, dass „R.“ Ashenden im Dunkeln lässt, worin genau seine Aufgabe besteht (was folglich auch den Leser im Unklaren lässt), er stellt ihm mit dem Haarlosen Mexikaner („The Hairless Mexican“) auch einen Mann fürs Grobe zur Seite, einen der die dreckige Spionage- und Agentenarbeit für Ashenden übernimmt. Zusammen bilden Ashenden und der Haarlose Mexikaner ein ziemlich unfähiges Gespann, das gleich bei der ersten gemeinsamen Mission das falsche Opfer zur Strecke bringen. Als Ashenden den fatalen Fehler bemerkt, sagt er nur aufgebracht zu seinem Begleiter: „You bloody fool, you’ve killed the wrong man.“ (p. 106) Und damit endet die Erzählung um den ersten gemeinsamen Auftrag auch schon. Denn Maugham konzentriert sich in seinen Geschichten auf das Schmutzige, das Amateurhafte, das Fehlgeschlagene, das Unverantwortliche, das Überhebliche, das Alltägliche und das Rücksichtslose der Geheimdienstarbeit. Ashenden ist allein schon deshalb kein James Bond, weil am Ende die Bösen nicht mit Wagemut und Geschick zur Strecke gebracht werden. Oft trifft es die Falschen („casualties“) und oft wird am Ende der Erzählung nicht ersichtlich, ob das Ziel der Mission überhaupt erreicht wurde. Diese Agentenerzählungen sind sehr ernüchternd und nur mit Mühe erkennt man in Ashenden einen Vorläufer von Ian Flemings berühmten 007. Für den Kritiker David Malcolm ist Ashenden auch viel eher der Großvater für die Figuren von Romanautoren wie „Eric Ambler, [Graham] Greene, John le Carré, and Len Deighton.

Die Ashenden-Erzählungen Maughams gewinnen ihren Reiz gerade aus diesem Kontrast von äußerem Glanz – die Titel vieler Erzählungen verheißen Exotisches, Geheimnisvolles oder Melodramatisches: „The Hairless Mexican“, „The Dark Woman“, „The Greek“, „Giulia Lazzari“, „The Traitor“, „Love and Russian Literature“ – und innerer Schalheit. Hinter dem Haarlosen Mexikaner verbirgt sich, wie bereits erwähnt, ein skrupelloser und rücksichtsloser Vollstrecker, dem es egal ist, wen er ermordet. Hinter der „Dark Woman“ verbirgt sich eine einstige Geliebte des Haarlosen Mexikaners, die dieser schließlich tötete, weil er glaubte, in ihr eine Agentin erkannt zu haben. Die titelgebende Giulia Lazzari ist eine abgehalfterte Tänzerin, die von Ashenden erpresst wird, um den indischen Unabhängigkeitskämpfer Chandra Lal in die Schweiz zu locken, der jedoch rasch Selbstmord begeht, als er merkt, dass er dem Geheimdienst in die Falle gegangen ist; nachdem Giulia Lazzari vom Tod ihres Geliebten erfährt, bietet sie Ashenden, er möge ihr die Uhr aushändigen, die sie dem toten Chandra Lal einst geschenkt hatte: „He had a wrist-watch that I gave him last Christmas. It cost twelve pounds. Can I have it back?“ Die lange und melodramatische Erzählung wird durch diesen lakonischen Schlusssatz entlarvt als eine Erzählung der simulierten Gefühle, die letztlich materiellen Interessen untergeordnet sind.

Die Erzählung vom Verräter verdient besondere Aufmerksamkeit, da sie – zusammen mit der des Haarlosen Mexikaners – Alfred Hitchcock 1936 zu einer Verfilmung inspirierte.

Hitchcock fügt – typisch für ihn – der Spionagehandlung um Ashenden (gespielt von John Gielgud) eine Liebeshandlung hinzu, indem er Ashenden eine blonde Frau namens Elsa Carrington an die Seite stellt (gespielt von Madeleine Carroll, die bereits ein Jahr zuvor in seinem Kassenschlage The 39 Steps gespielt hatte).

Der Haarlose Mexikaner (überragend gespielt von Peter Lorre) bleibt auch bei Hitchcock eine zwielichte Figur, die Ashenden zeitweise sein Liebesglück neidet. Im Film müssen die beiden Agenten einen Gegner ausschalten, identifizieren ihn (fälschlicherweise) als einen ältlichen Touristen. In einer spannenden Szene (ab Minute 42), stößt der Mexikaner ihn hinterrücks von einem Berg. Da will Hitchcocks Ashenden seinen Beruf an den Nagel hängen, wird aber noch einmal in das Geschehen hineingezogen. Poetische Gerechtigkeit siegt am Ende, der wahre Schurke wird enttarnt und getötet, erschießt mit letzter Kraft den Mexikaner, die britischen Truppen sind siegreich und Ashenden und Elsa heiraten. Hitchcock mochte den Film am Ende selbst nicht besonders gut leiden, da diesem, wie er Truffaut erzählte, ein handlungsleitendes Motiv fehlte bzw. das Motiv ein negatives war. Darum, so Hitchcock weiter, sei der Film zu statisch gewesen und hätte sich nicht vorwärts bewegt. Womit er den Roman Maughams in wenigen Worten sehr treffend beschrieben hat. Ein Roman (oder genauer: eine lose Sammlung von Erzählungen mit wiederkehrenden Figuren), in dem wenig bis gar nichts passiert und in dem die Motivationen der Figuren sehr opak bleibt. Diese Art von Geschichten mag kennzeichnend für den literarischen Modernismus sein; im Publikumskino der 30er Jahre hingegen funktionierten sie offensichtlich nicht.

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