Theodor Fontane: Unterm Birnbaum (1885) – Interpretation und Erläuterung

Theodor Fontane und sein Roman Unterm Birnbaum werden bis heute gerne in Schulen gelesen. Nicht wenige Abiturient/innen mussten sich bereits mit Fontane beschäftigen. Meistens wird im Deutsch-Unterricht Effi Briest gelesen, aber manch ein Deutschlehrer lässt auch andere Romane von Fontane lesen, wie z.B. Frau Jenny Treibel oder Irrungen, Wirrungen oder eben auch: Unterm Birnbaum. Garantiert werde ich in Kürze auch auf die vorgenannten Romane zu sprechen kommen. Doch in diesem ersten Fontane-Artikel möchte ich den Versuch einer Interpretation von Unterm Birnbaum machen, der möglicherweise Abiturient/innen bei den Klausurfragen zu Fontane und seinem Roman Unterm Birnbaum helfen könnte. Los geht es mit einer einfachen und kurzen Inhaltsangabe. Weiter geht es mit dem Stellenwert des Genres „Kriminalroman“ sowohl im Werk Fontanes als auch generell in der deutschsprachigen Literatur. Abschließend wird das Motiv des Birnbaums näher betrachtet werden.

Buchumschlag: UNTERM BIRNBAUM (Fontane)

Im (fiktiven) Ort Tschechin (der wohl ein reales Pendant im heutigen Letschin hat, einem kleinen Ort ca. 40 km nordöstlich von Berlin, kurz vor der polnischen Grenze; der in der Novelle häufig genannte Ort Küstrin gehört seit 1945 zu Polen) lebt der Wirt und Materialienhändler Abel Hradschek. Nicht nur, dass seine Geschäfte schlecht laufen, auch kostet ihn die Vornehmheit seiner Frau eine gehörige Stange Geld und er selbst hat zudem auch noch Spielschulden. Beim Graben in seinem eigenen Garten findet Hradschek unter dem Birnbaum die Leiche eines französischen Soldaten, die dort schon seit langer Zeit liegen muss.

Der polnische Handlungsreisende Szulski kündigt seinen Besuch an, um bei Hradschek Schulden einzutreiben, die dieser ohne Umstände bezahlt. In der gleichen Nacht beobachtet Hradscheks Nachbarin, die alte Jeschke, wie Hradschek in seinem Garten am Birnbaum gräbt. Am nächsten Morgen um 4 Uhr in der Früh, erscheint Szulski erst spät auf das Klopfen der Bediensteten, komplett vermummt, ergreift ungeschickt die Zügel seines Fuhrwerks und fährt im Sturm davon. Am anderen Tag erreicht das Dorf die Nachricht, dass ein Fuhrwerk vom Damm hinunter in die Oder gestürzt sei: Szulskis Wagen, von der Leiche des Polen jedoch fehlt jede Spur. Hradschek wird daraufhin in Untersuchungshaft genommen, weil er in Verdacht steht, mit dem Unfall Szulskis etwas zu tun zu haben.

Als Polizist Geelhaar von der alten Jeschke erfährt, was diese in der Nacht vor Szulskis Tod in Hradscheks Garten beobachtet hatte, wird öffentlich unter dem Birnbaum gegraben. Als die Leiche des Franzosen zu Tage kommt, lässt man den Verdacht gegen Hradschek fallen, da der Franzose dort schon lange liegt. Hradschek berichtet, er habe in der Nacht lediglich ein paar verdorbene Speisewaren vergraben wollen, dann aber die Leiche entdeckt und aus Furcht wieder zugegraben.

Hradschek wieder auf freiem Fuß wird fortan vom Pech verfolgt. Ein Knopf, wie ihn der Pole hatte, wird im Keller gefunden, die Jeschke erzählt herum, dass sie in der fraglichen Nacht Licht im Keller gesehen habe und schließlich stirbt nach kurzer Krankheit seine Frau. Es wird deutlich, dass Hradschek den Polen ermordet und bei sich im Keller verscharrt hat. Da sich die Verdachtsmomente häufen und alle seine Angestellten behaupten, dass es im Keller spuke, beschließt er, die Leiche aufzugraben und in die Oder zu schmeißen.

Theodor Fontane-Denkmal in Neuruppin*

Am nächsten Tag wird Hradschek tot in seinem Keller gefunden. Damit bei seiner Aktion im Keller kein Licht nach draußen dringt und die Jeschke alarmiert, hatte Hradschek einen Holzkeil genommen und ihn vor das Kellerfenster gesetzt. Dieser Keil hielt jedoch einige Fässer aufgestaut, die nun auf die Kellerluke rollten und den grabenden Hradschek im Keller einschlossen (nicht zufällig werden die Fässer, der Keil und die Kellerluke schon im zweiten Absatz des Romans erwähnt:

Säcke, Zitronen- und Apfelsinenkisten standen hier an der einen Wand entlang, während an der andern übereinandergeschichtete Fässer lagen, Ölfässer, deren stattliche Reihe nur durch eine zum Keller hinunterführende Falltür unterbrochen war. Ein sorglich vorgelegter Keil hielt nach rechts und links hin die Fässer in Ordnung, so daß die untere Reihe durch den Druck der obenaufliegenden nicht ins Rollen kommen konnte.

Die genaue Todesursache Hradscheks bleibt ungeklärt, auch wenn man sich einig ist, dass er „von der Hand Gottes getroffen“ worden sei, so der allerletzte Absatz des Romans.

2. Kriminalgeschichte

Lange Zeit ist diese kurze Novelle als ein minderwertiges Produkt Fontanes betrachtet worden. Die Gründe dafür liegen zum einen in der im deutschen Sprachraum tendenziell eher negativen Bewertung von Kriminalliteratur, zum anderen auch im Veröffentlichungsformat der Novelle, die vor der Publikation in Buchform zunächst in Fortsetzungen in einer Zeitschrift erschien.
Dass es sich bei der Novelle weniger um einen klassischen Kriminalroman handelt, mit einem Detektiv, der das geheimnisvolle Verbrechen meisterhaft aufklärt, sondern vielmehr um ein Psychogramm des Täters und ein Soziogramm seiner Umgebung, das wurde dabei häufig übersehen.

Denn obwohl die Gewissheit über Hradscheks Tat sich erst am Ende einstellt, gibt es von Beginn der Novelle an nur wenig Zweifel darüber, was er getan hat. Hradschek, der an einer Stelle sagt, „Wer A sagt muss auch B sagen“ verstrickt sich zusehends in den Fallstricken, die der Mord an Szulski mit sich zieht. Er muss immer wieder B sagen, selbst dann, als seine Frau daran zu Grunde geht. Obwohl er zu den gebildeteren Leuten des Dorfes zählen kann, ist auch er nicht völlig immun gegen Aberglauben und die unheimlichen Andeutungen der alten Jeschke zehren an seinem Nervenkostüm.

Trotz dieses Lachens aber war ihm jedes Wort, als ob es ein Evangelium wär, in Erinnerung geblieben, vor allem das »ungeborne Lamm« und der »Farnkrautsamen«. Er glaubte nichts davon und auch wieder alles, und wenn er, seiner sonstigen Entschlossenheit unerachtet, schon vorher eine Furcht vor der alten Hexe gehabt hatte, so nach dem Gespräch über das Sich-unsichtbar-Machen noch viel mehr.

Der Roman Unterm Birnbaum von Theodor Fontane ist allerdings nicht sein einziger Ausflug in das Genre des Kriminalromans. Mit den Romanen Ellernklipp (1881) und Quitt (1891) wandte sich Fontane erneut dem Genre zu. Auch diese Romane kommen jedoch ohne die für den klassischen Kriminalroman so zentrale Figur des Detektivs aus (wie sie E.A.Poe 1841 in „The Murders in the Rue Morgue“ erfand und deren prominenteste Verkörperung bis heute wohl Arthur Conan Doyles Sherlock Holmes ist); stattdessen beschreiben auch sie das Seelenleben des Täters vor, während und nach der Tat. Hier wie dort wurden Fontanes Kriminalromane, wie fast alle deutschen Kriminalromane (z.B. auch Hoffmanns Fräulein von Scuderi (1821)), kontrovers diskutiert, was ein nicht unerheblicher Grund dafür sein dürfte, dass sich die Gattung in Deutschland, anders als in England oder Frankreich, nie wirklich hat durchsetzen können. Ob Fontane dies gespürt hat und daher den etwas sprichwörtlich-abgedroschenen Spruch „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen“ ans Ende seines Romans gestellt hat, kann ich nicht beurteilen (habe allerdings auch die sonst sehr ausführlichen Notizen Fontanes, die das Entstehen seiner Romane akribisch dokumentieren, zum Birnbaum nicht gelesen).

3. Der Birnbaum

Unterm Birnbaum ist nicht der einzige literarische Text Fontanes, in dem ein Birnbaum eine Rolle spielt. Auch in seinem bekannten Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“. Ähnlich wie Hradschek in der Novelle hat Herr von Ribbeck auch in seinem Garten einen Birnbaum stehen. Als Ribbeck stirbt, verlangt er, ihm eine Birne mit ins Grab zu legen. Daraus wächst ein großer Birnbaum, so dass auch unter Ribbecks Birnbaum ein Toter liegt: „So spendet Segen noch immer die Hand / Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.“ Auch Hradscheks Franzose spendet zu Beginn Segen. Er bringt Hradschek auf die Idee, die ihn aus seiner Finanzmisere reißen wird (die Ermordung Szulskis); als Hradschek vor Gericht steht und die Jeschke berichtet, sie habe ihn in der Nacht vor dem Verschwinden des polnischen Handelsreisenden unterm Birnbaum graben sehen und man daraufhin an genannter Stelle gräbt und die Leiche des Franzosen findet, wird Hradschek nicht nur von der Anklage freigesprochen, auch sein Ansehen im Dorf wächst und seine Malvasieren-Birnen werden gemeinhein von allen nur noch „Franzosenbirnen“ genannt – die Leiche des Franzosen dient Hradschek dazu, den Verdacht von sich abzulenken. Anders als im Gedicht jedoch erweist sich der aus dem Verstorbenen herauswachsende Birnbaum nicht ausschließlich als Segen: zwar rettet er Hradschek aus einer misslichen Finanzlage, aber kostet ihn letzten Endes sein Leben und das seiner Frau.

4. Literatur:

5. Quellennachweise:
„Neuruppin Theodor Fontane Denkmal“, Foto von froutes, via flickr.com [Lizenz: CC BY-SA 2.0].
„Lecker Birnen“, Foto von Schrottie, via flickr.com [Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0]

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