Literatur 2010 – Eine Jahresvorschau

Literatur 2010 - Eine VorschauEnde Dezember ist die Zeit, in der man für gewöhnlich mit Jahresrückblicken bombardiert wird (siehe: Stern, Süddeutsche, Welt, FAZ, Tagesschau, Focus uvm.). Wie war 2009? Was hat es gebracht? Welche Überraschungen gab es? Was war gut, was war schlecht? Jahresrückblicke sind im Dezember so unvermeidlich wie der Adventskalender. Nicht, dass ich einen guten Jahresrückblick nicht gerne lesen würde, aber irgendwie gehöre ich schon seit jeher zu den neugierigen Menschen, die viel weniger interessiert, was passiert ist, als was passieren wird. An dieser Stelle daher kein Rückblick auf 2009 (dafür ist das Archiv meines Blogs da!) sondern eine Vorschau, was uns – in Sachen Literatur – 2010 erwarten wird.

Frankfurter Buchmesse 2010

Gastland der Frankfurter Buchmesse 2010 ist Argentinien. Und da man in Deutschland außer Jorge Luis Borges  und Julio Cortázar eigentlich keine argentinischen Schriftsteller kennt, wird die der Wikipedia-Eintrag Argentinische Literatur vermutlich ab spätestens September eine der meistgelesenen Literatur-Seiten im Netz werden…


Literaturnobelpreis 2010

Der Literaturnobelpreis 2010 kann statistisch gesehen auf gar keinen Fall an einen deutschsprachigen Autoren gehen. Mit Grass, Jelinek und Müller sind drei Autoren aus dem deutschsprachigen Raum innerhalb von 10 Jahren so überrepräsentiert, wie zuletzt vor 100 Jahren mit Mommsen (1902), Eucken (1908), Heyse (1910) und Hauptmann (1912) – Autoren von denen man heutzutage höchstens noch Hauptmann kennt. Der Nobelpreis 2010 geht also nicht nach Deutschland. Philip Roth, Milan Kundera, Umberto Eco und Cees Nooteboom bekommen ihn auch nicht, das ist ja schließlich Teil der großen „Nobelverschwörung“ (ein Begriff, der übrigens sicherlich früher oder später Titel eines schwedischen Krimis werden wird…).

Bleibt also nur: ein Autor, den keiner kennt, aus einem Land, das ein literarischer blinder Fleck ist, mit einem Werk, das max. in drei andere Sprachen übersetzt wurde (ärgerlicherweise ist weder Deutsch, noch Französisch, noch Englisch eine davon…). Die westliche Literaturwelt nimmt den Nobelpreis daraufhin geflissentlich nicht zur Kenntnis – wie sie es immer tut, wenn jemand außerhalb des Deutsch-Französisch-Englisch-Dreiecks den Preis bekommt – und Menschen mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn werden konstatieren, dass der Preis aber auch wirklich mal wieder in die Dritte Welt gehen musste.

Bestseller 2010

Der Bestseller 2010 wird sicherlich irgendein unsinniger Vampir-Roman sein. Vermutlich geht es um eine skandinavische Vampirin, die eine soziopathische Hackerin mit Blut-Allergie ist und uns mit mind. 10 jeweils 1000-seitigen Bänden beglücken wird. Hierzu muss man wirklich nichts weiter sagen…

Literatur-Überraschung 2010

2010 kommt der neue Roman von Michel Houellebecq

Michel Houellebecq. Von Hendrik Speck

Die Literaturüberraschung des Jahres 2010 ist der neue Roman von Michel Houellebecq. Seit La possibilité d’une île von 2005 (dt.: Die Möglichkeit einer Insel) hat Houellebecq keinen Roman mehr veröffentlicht – trotz des großen Erfolges seiner Romane Les particules élémentaires (1998; dt.: Elementarteilchen) und Plateforme (2001; dt.: Plattform). Houellebecqs neuer Roman trägt den Titel Mœurs de province und handelt von dem Leben eines alternden Pfarrers im postnuklearen Frankreich des ausgehenden 21. Jahrhunderts. Dieser Pfarrer zieht sich auf ein kleines Dorf in Westfrankreich zurück, wo außer einigen Mutanten auch noch die wunderschöne Estella wohnt, eine brasilianische Schönheit mit südchinesischen Wurzeln, in die sich der Pfarrer sofort verliebt. Houllebecq zeichnet das Schicksal, die Hoffnungen und Enttäuschungen dieses Pfarrers, der hin und hergerissen ist zwischen seiner Liebe zu Estella, seinen Pflichten als Pfarrer und seinen erotischen Gefühlen gegenüber seinem Hund Popsi. Als Popsi zum Islam konvertiert und Estella durch gezielte atomare Manipulation radikaler Post-Islamisten zur Mutantin wird, findet der Pfarrer zu seinem christlichen Glauben zurück und stirbt zufrieden und erfüllt von göttlicher Zuversicht.

Die moralische Wende in Houellebecqs Werk ist vollzogen, der Roman fällt 2010 jedoch bei der Fachpresse und dem Publikum durch. Einzig Marcel Reich-Ranicki verteidigt das Werk in einer Sendung von Wetten dass… als „eine große Reminiszenz des klassisch gewordenen modernen Realismus […] ein Flaubert-Roman, geschrieben von Samuel Beckett“.

Technik und Digitale Literatur

eBook-Reader erschließen sich den Massenmarkt und die Türhüter des Abendlandes werden alles versuchen, um diese Auswüchse der digitalen Kulturindustrie draußen zu halten – vergeblich. 2010 werden erstmals mehr belletristische eBooks verkauft werden, als gedruckte Bücher. In den germanistischen Seminaren wird zum ersten Mal über Twitterliteratur, Twiction, Twitteratur gesprochen werden (freilich nur von jungen, frisch promovierten und progressiven Dozenten unterrichtet). DIE ZEIT bringt eine iPhone App heraus, die es mit der Axel Springer-App für BILD und WELT aufnehmen soll, nur um am Ende festzustellen, dass kein vernünftiger Mensch diese Apps wirklich braucht. Elke Heidenreich meldet sich bei Facebook an, nur um festzustellen, dass niemand ihre „Friend Requests accepted“. In ihrer nächsten Sendung, wird sie daraufhin über den ganzen „Internet-Blödsinn“ schimpfen und sich in gewohnt seichter Samstags-Abends-Manier an irgendeinem neuen Roman über einen finnischen Klavierspieler festklammern: „Ein großes Werk von durch und durch poetischer Sprache“….

Fazit

2010 wird ein spannendes Jahr für die Literatur und eKronshage.eu wird wie immer live von der vordersten Front berichten. In diesem Sinne: einen Guten Rutsch – und: bis nächstes Jahr!

Quellennachweise

  • Michel Houellebecq. Von Hendrik Speck, 01.06.2006 via Flickr.com [Lizenz: CC BY-NC-ND 2.0]
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