George Eliot, Middlemarch (Inhaltsangabe)

George Eliot1. Einleitung:

„Mit den Eigennamen sollte man bei Interpretationen vorsichtig sein; die Leser stellen nicht selten Verbindungen her, an die der Autor bei der Niederschrift nicht gedacht hat. Als ich Das Foucaultsche Pendel verfasste, erinnerte ich mich dunkel daran, dass es auch schon in Middlemarch von George Eliot eine Figur namens Casaubon gegeben hatte. Der englische Kritiker David Robey wies nach dem Erscheinen meines Romans in einem Artikel für das Times Literary Supplement zu meiner Überraschung darauf hin, dass der Casaubon von George Eliot ein Buch namens The Key to All Mythologies schrieb. Eine überzeugende Verbindung zur Esoterik im Foucaultschen Pendel, mit dem einzigen Nachteil, dass sie von mir nicht geplant war.“ (Umberto Eco in:  Stauder 49)

Dieser Ratschlag von Umberto Eco mag in seiner Schärfe verwundern – wie kann, nimmt man Ecos theoretische Schriften ernst, eine Interpretation überhaupt ’nachteilig‘ sein, insofern sie nicht das wiedergibt, was der ‚der Autor gedacht hat‘?

George Eliot, MiddlemarchWie dem auch sei, mit Ecos Casaubon aus seinem Roman Il pendolo di Foucault (1988) (dt. Das Foucaultsche Pendel, 1989) haben wir einen 117 Jahre jüngeren Casaubon als den aus George Eliots Roman Middlemarch (dt. Ausgabe, siehe hier). Auf Unterschiede und Gemeinsamkeiten einzugehen würde sich sehr lohnen, aber ich spare mir das für die Besprechung von Ecos Roman auf. Kommen wir also erst einmal zu George Eliot!

2. Inhaltsangabe von Middlemarch:
Der Inhalt des (in meiner Ausgabe) fast 1000 Seiten starken Romans lässt sich nur schwerlich in wenigen Sätzen darstellen, zumal er viele Handlungsstränge hat, die mehr oder minder lose nebeneinander herlaufen. Ursprünglich schrieb Eliot an zwei Erzählungen, deren eine mit dem Titel „Miss Brooke“ (so auch der Titel von Buch 1 aus Middlemarch (MM)) und eine weitere über einen jungen Arzt namens Lydgate. Als sie die inhaltliche Verwandtschaft beider Erzählungen entdeckte, entschloss sie sich, beide Erzählungen zu einem Roman zu vereinen, eben MM. Ich werde mich daher bei der Inhaltsangabe auf die beiden Handlungsstränge Dorothea Brooke und Dr. Tertius Lydgate beschränken und alle Nebenhandlungen und Zusatzfiguren ausklammern.


Dorothea Brooke, die zu Beginn des Romans (der Anfang der 1830er spielt) noch minderjährig ist (im viktorianischen England heißt das unter 21 Jahren) trifft und heiratet gegen den Willen ihrer Schwester Celia und nicht zur Freude ihres Onkels Mr. Arthur Brooke und ihres Verehrers Sir Chettham, den alten Vikar und Gelehrten Edward Casaubon. Dieser arbeitet an seinem epochalen Werk, dem bereits im Eingangszitat erwähnten „Key to All Mythologies“. Während der Hochzeitsreise in Roman stellt Dorothea immer mehr fest, dass die Ehe ein Fehler war (oder besser: der Leser stellt dies fest; wann genau es Dorothea völlig bewusst wird, ist schwer zu entscheiden). Ablenkung von der eher tristen Hochzeitsreise bietet ihr der junge Will Ladislaw, ein entfernter Verwandter Casaubons, der zufällig ebenfalls in Rom ist. Zurück in Middlemarch (so der Name der fiktiven Ortschaft, in welcher der Roman spielt) verschlechtert sich nicht nur der Zustand ihrer Ehe, sondern auch der von Casaubons Gesundheit. Abends bittet Casaubon, der spürt, dass er sein epochales Werk „Key to All Mythologies“ (dessen Lächerlichkeit dem Leser an dieser Stelle vollends klar geworden ist) nicht mehr wird vollenden können, seine Frau Dorothea, ihm auch nach seinem Tod noch dienstbar zu sein. Sie entgegnet, dass sie alles für ihn tun wolle, jedoch wissen müsse, worum es sich handele, bevor sie einwillige – sie bittet sich eine Nacht Bedenkzeit aus. Am nächsten Morgen erwacht sie, ihr Mann sei schon aufgestanden, sie sucht ihn im Park des Grundstücks, um seiner Forderung zuzustimmen und findet ihn dort tot auf. Es stellt sich heraus, dass Casaubon ein Kodizill zu seinem Testament hinzugefügt hat, das besagt, dass Dorothea das Erbe entzogen würde, falls sie Will Ladislaw heiratete, auf den Casaubon nicht nur einen persönlichen Groll verspürte, sondern auf den er auch eifersüchtig war.

in memoriam, by SWIV via Flickr.com

Der andere Handlungsstrang schildert die Versuche des jungen Dr. Tertius Lydgate, der gerade eben erst in der Stadt Middlemarch angekommen ist, dort eine Spezialklinik für Fieber-Forschung zu errichten. Er sieht sich gefördert von Nicholas Bulstrode, einem religiösen Bänker und Händler mit allerdings finsterer Vergangenheit. Schon bald muss Lydgate merken, dass ihm bei seinem Projekt von den meisten der alteingesessenen Middlemarcher Steine in den Weg gelegt werden und sein Projekt keine rechten Fortschritte machen will. (Eine erste konkrete Überschneidung mit dem Dorothea-Plot gibt es, als Lydgate den erkrankten Casaubon behandelt). Schon bald trifft der junge, energetische aber weitestgehend mittellose Lydgate auf Rosamond Vincy, eine junge und äußerst attraktive Dame, die ihn schließlich geschickt zu einer Heirat drängt. Das Ehepaar Lydgate kauft ein Haus in der Stadt. Lydgates Finanzen geht es zusehends schlechter, da nicht nur sein Projekt keine Fortschritte macht, sondern auch seine Frau Rosamond einen extravaganten und teuren Lebensstil an den Tag legt. Das Drama nimmt seinen Lauf, als Lydgate einige seiner Möbel verpfänden muss und auch Bulstrode ihm den Geldhahn zudreht. Der Konflikt zwischen Lydgate und Rosamond wird immer größer, bis diese sich Trost suchend an die Brust von Will Ladislaw wirft…

… als durch einen Zufall gerade Dorothea ins Zimmer tritt. Diese sieht die Szene und legt sie gegen Will Ladislaw aus, den sie heimlich doch geliebt hat (wie spätestens an ihrer Reaktion klar erkennbar wird).

Die letzten Kapitel lassen sich in wenigen Worten so zusammenfassen, dass Rosamond schließlich die falsch gedeutete Szene bei Dorothea richtig stellt und ebenfalls Will in das ihm bislang unbekannt Kodizill Casaubons einweiht. Nach einer finalen Aussprache zwischen Will und Dorothea beschließt letztere ihr ererbtes Vermögen aufzugeben (hat sie doch noch ein kleines Vermögen von Haus aus) und Will zu heiraten.

Die Schicksale der Hauptfiguren in den nächsten gut 50 Jahren werden ihm letzten Kapitel des Romans jeweils kurz in einer Art „Und wenn sie nicht gestorben sind“ zusammengefasst. Demnach verliefen beide Ehen gut, Lydgate stirbt mit 50, woraufhin Rosamond erneut heiratet. Will und Dorothea leben glücklich bis ans Ende ihrer Tage.

Henry James nannte den Roman einmal „at once one of the strongest and one of the weakest of English novels“ (James 1873) und kritisierte, dass nach Casaubons Tod (etwa in der Mitte des Romans) die einzige interessante Frage sei, ob Dorothea Will nun heiraten wird oder nicht (Ibid.). Damit drückt er seine Enttäuschung im Bezug auf den eigenartigen Status von Dorothea als Heldin des Romans aus. Einerseits weist vieles darauf hin, dass sie tatsächlich die Heldin des Romans ist (sie ist die einzige Person, nach der eins der acht Bücher des Romans bennant ist; ihre Geschichte wird am ausführlichsten behandelt etc.); und dennoch gewinnen die Nebenhandlungen teilweise derart an Gewicht, dass Dorothea oft für dutzende von Seiten ganz in den Hintergrund tritt. Wenn man sein einziges Augenmerk auf Dorothea richtet wird man in der Tat enttäuscht sein von der etwas faden Liebesgeschichte, sowie der Tatsache, dass ihr ’nur‘ geschätzte 50-60% des Romans gewidmet sind.

[Dies war der erste Teil eines Artikels. Der zweite und letzte Teil des Artikels ist hier zu finden: Darstellung von Bewusstsein in Middlemarch]

Quellennachweise

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